Wenn der Kopf mitturnt

Weltmeisterin Pauline Schäfer ist wohl das bekannteste Beispiel für Turnerinnen mit einer Rückwärtsblockade, eine psychische Blockade bei rückwärts zu turnenden Elementen. Aber sie ist kein Einzelfall, es trifft viele talentierte Gerätturnerinnen, auch aus Peine.

 

Johanna Niebuhr, Peiner Jugendsportlerin des Jahres 2017 verlor den Kampf mit den Rückwärtselementen und flog dafür 2018 aus dem Landeskader.

 

Heute berichtet die 13jährige etwas abgeklärt über diese Erfahrungen: „Es begann nach meinem Waden-Schienbeinbruch, den ich mir beim Salto rückwärts 2016 zugezogen hatte. Nach langer Trainingspause hatte ich echt Angst bei den Rückwärtselementen. Besonders am Balken war es schlimm, wenn man ins Leere springt.“

 

Der Schwebebalken aus nur unwesentlich gepolstertem Holz, 10 cm breit und 5 Meter lang, steht in einer Höhe von 1,20 Meter über den Matten.

 

Die Balken-Anforderungen in der Altersklasse 11: zwei Menicelli (Spreiz-Flick-Flack) in Verbindung, Flick-Flack und als Abgang Radwende-Salto rückwärts, dazu kommen Sprünge und Drehungen. Da kann einem schon bei der reinen Vorstellung schwindlig werden. Wer irgendwann mal an der Bundesspitze und international turnen möchte, turnt genau das oder ist raus. Letzteres war für Johanna irgendwie auch eine Erleichterung: „In jedem Training musste ich mich überwinden, Menicelli oder Flickflack zu üben. Manchmal klappte es auch, aber immer öfters ging gar nichts. Es war eine endlose Spirale aus Angst und immer mehr Druck von den Landestrainern.“ Der Irrsinn an diesem Thema – eigentlich konnte Johanna alle diese Teile, nur der Kopf hat die Bewegung blockiert.

 

Mittlerweile turnt Johanna in der 3. Bundesliga für die KTG Hannover und trainiert im TSV Burgdorf. Rückwärtselemente am Balken sind für sie immer noch ein Problem, aber die Trainer sind geduldiger und Johanna beschränkt sich in der Kür auf die allernötigsten Teile.

 

„Wer zu viel nachdenkt, muss abtrainieren,“ solche oder andere Sprüche fallen dann auch schon mal beim Breitensport. Und sie denkt nun mal viel nach, die hochbegabte Stederdorferin, die derzeit für den VfL Wolfsburg in der 2. Landesliga turnt. Immer wieder hat Mandy Hoffmann sich an einem für ihre Leistungsklasse geforderten Rückwärtselement am Balken versucht. Den Rückwärtssalto stand sie auf dem Balken – aber sie sprang nur ab, wenn ein Trainer die Hand am Rücken hatte. Ohne das sichere Gefühl, bewegte sie sich keinen Zentimeter nach oben. „Es fühlt sich an, als hätte ich den Bewegungsablauf vergessen oder ich weiß nicht, wie ich mich rückwärts drehen soll, mein Kopf blockiert alles,“ schildert Hoffmann diese Situation. Das spektakuläre Element hat sie dann irgendwann verworfen und trainiert an einem „einfachen“ Bogengang (Überschlag) rückwärts. Aber ihr geht es wie Johanna, mal geht es im Training ganz gut, kann sich überwinden, an anderen Tagen macht sie ohne die Unterstützung der Trainer nichts. „Ich turne dafür lieber schwierigere Sprünge am Balken, damit kann ich den Punktabzug ein bisschen ausgleichen,“ so die Strategie der 16jährigen. Dass sie sich damit oft den Treppchenplatz im Mehrkampf verhagelt, stört sie nicht weiter.

 

Deshalb mit dem geliebten Sport aufhören - für beide keine Option.